Teil 1
Atreju, das jährliche Politik-Festival der italienischen Rechten ist berühmt berüchtigt. Benannt ist dieses Mekka der Fratelli d‘Italia (FDI) nach dem jungen Helden aus der Unendlichen Geschichte von Michael Ende, der sich dem Kampf gegen das um sich greifende Nichts verschrieben hat. Für Meloni und die Ihren ist die jährliche Zusammenkunft seit nunmehr 26 Jahren ein gerne gepflegtes Ritual. Es gibt überall ein herzliches „Ciao“. Es ist ein großes, harmonisches Schulterklopfen und Händeschütteln. Atreju ist Kraftquelle für die politische Arbeit der Partei. Gleichzeitig ist Atreju heute die größte politische Bühne Italiens. Hier werden Themen gesetzt. Parallel zum Aufstieg der Fratelli von einer isolierten Splitterpartei hin zur wahrscheinlich stärksten rechten Partei Europas, hat sich auch das Politik-Festival entwickelt. Italien, zunehmend Europa und auch Beobachter aus aller Welt schauen in den Atreju Tagen gespannt nach Rom und sind vermehrt dort zu Gast.
Für Liberalkonservative aus Deutschland Grund genug die kurze Reise über die Alpen anzutreten, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Einige wenige Deutsche – darunter noch weniger bekannte Gesichter – haben genau das in diesem Jahr getan und waren Teil der Internationalen Delegation der Partei European Conservatives and Reformists (ECR). Deren Vorsitzende war Georgia Meloni auf europäischer Ebene bis letzten Sonntag. Ihr Nachfolger soll nun der ehemalige polnische Premierminister, Mateusz Morawiecki, von der PIS-Partei werden. Auch dieser war in Rom dabei.
Für den deutschen Gast sieht Atreju auf den ersten Blick aus wie ein großer, etwas kitschiger Weihnachtsmarkt. Mitten im Zirkus Maximus gelegen, stehen überall Stände, in der Mitte gibt es eine Eisbahn mit Kunsteis samt Plastik-Weihnachtsbaum. Aber, es gibt auch zwei große Veranstaltungssäle. Dort finden die Debatten statt. Dort wirkt es ein wenig wie die Conservative Political Action Konferenzen (CPAC) in den USA. Redner kommen zu Rockmusik auf die riesige Bühne. Die Show folgt einem professionellen Drehbuch. Es gibt hunderte, junge, begeisterte Freiwillige. Ohnehin, das fällt auf. Atreju ist deutlich jünger und weiblicher als konservative Treffen nördlich der Alpen. Es geht hier auch ziemlich stilsicher zu. Der Anteil der Herren in eng geschnittenen Barbour-Jacken und der gut frisierter Damen ist höher als beim Dreikönigstreffen der FDP.
Es geht bei Atreju allerdings nicht vordergründig um politische Details. Es geht um Italien. Es geht ums Große und Ganze. Es geht um das, was für die Brüder Italiens die Identität ihres schönen Landes ausmacht. Kultur, Gemeinschaft, Familie, die christliche Zivilisation und – auch das darf nicht fehlen – der Fußball. Dort diskutiert dann unter anderem der Präsident des AC Milan, was man sich von anderen großen Fußballnationen abgucken könnte, um einen italienischen Weg zu reformieren, aber dabei doch dezidiert italienisch zu bleiben. Das ist ohnehin das Leitmotiv von Atreju 2024, „La Via Italiana“, also der „Italienische Weg“ thront über allem. Es geht um die Gestaltung der Res Publica, um die Gesellschaft, den gesamten öffentlichen Raum, um die Nation. Politik und Staat sind nur Mittel zum Zweck. Für den konservativen Gast aus Deutschland ist das inspirierend, aber auch gewöhnungsbedürftig. Sind bei uns politische Debatten doch oft Experten-Kolloquien von bleichen Politikern, die eigentlich lieber Verwaltungsangestellte wären. Starke Meinungen sind verpönt. Diskussionen verlieren sich häufig im technischen Klein-Klein, anstatt über Grundsätzliches Klarheit herzustellen. Eine Veranstaltung mit dem Titel „Der Deutsche Weg“, würde wohl den Verfassungsschutz und vor allem die Antfia hervorrufen. Etwas wie Atreju gibt es in Deutschland derzeit nicht.
Von der Antifa ist in Rom an diesem Wochenende nichts zu hören oder zu sehen. Ist da im Vorfeld viel passiert? Oder liegt es an der abgeschlossenen Ent-Diabolisierung der Fratelli und ihrer heutigen politischen Dominanz, so dass für die Antifa hier Hopfen und Malz ohnehin verloren wären? Überhaut; es gibt an den Eingängen nahezu keine – jedenfalls keine spür- und sichtbaren – Sicherheitskontrollen. Es stehen ein paar bunt gekleidete Carabinieri herum. Und das obwohl mit Meloni und Milei hier wohl zwei der angeblich „umstrittensten“ Politiker der Welt anzutreffen sind. Ein ziemliches Klumpenrisiko für jeden Sicherheitsfachmann. Aber, es gibt hier keine Taschenkontrollen, keine Metalldetektoren. Jeder deutsche Weihnachtsmarkt wirkt in diesen Tagen verbarrikadierter als dieses Spitzentreffen.