Zur Nachahmung empfohlen – Offener Brief unserer Vereinsvorsitzenden an ihren örtlichen Abgeordneten

Sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter,

haben Sie vielen Dank für Ihre Antwort. Ich weiß Ihre Rückmeldung zu schätzen, auch wenn ich Ihrer Einschätzung in einem wesentlichen Punkt widersprechen muss – nämlich dort, wo Sie Frau Prof. Brosius-Gersdorf attestieren, sie vertrete ihre juristischen Auffassungen nicht aus radikaler oder ideologisch gefärbter Voreingenommenheit.

Gerade bei einer Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht ist es entscheidend, ob sie den Geist unseres Grundgesetzes in seiner Tiefe verstanden hat – oder ihn politisch umdeutet. Frau Brosius-Gersdorf hat in einer 2024 veröffentlichten juristischen Festschrift („Rechtskonflikte“) unter anderem geschrieben:

„Die Annahme, dass Menschenwürde überall dort gelte, wo menschliches Leben existiert, ist ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss.“

Sie spricht sich dafür aus, dass die Menschenwürde erst ab Geburt gelten solle, nicht aber für Embryonen oder Föten – und argumentiert weiter:

„Die Tötung eines Menschen ohne herabwürdigende Begleitumstände, die ihm seine Subjektqualität absprechen, verletzt Art. 1 Abs. 1 GG nicht.“

Damit stellt sie nicht nur einen der zentralen Grundsätze des Grundgesetzes infrage – sie widerspricht explizit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 urteilte (BVerfGE 88, 203): „Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu.“

Für eine Juristin, die selbst das höchste deutsche Gericht mitprägen möchte, ist diese Haltung nicht nur problematisch – sie ist gefährlich. Wer Art. 1 GG relativiert, legt Hand an das Fundament unseres Staates. Die Würde des Menschen – unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder Entwicklungsstand – ist bewusst als unantastbar formuliert. Und das aus gutem Grund: als Lehre aus zwei deutschen Diktaturen.

Frau Brosius-Gersdorf vertritt in weiteren Fragen Positionen, die weit über juristische Fachdebatten hinausgehen – etwa zur Impfpflicht, zur rechtlichen Zulässigkeit von Kopftüchern im Schuldienst oder zur Möglichkeit eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD. Auch der Begriff „beseitigen“, den sie im Zusammenhang mit politisch Andersdenkenden verwendet haben soll, lässt tief blicken.

All das zeigt für mich keine ausgewogene, verfassungsgerichtswürdige Haltung – sondern eine eindeutig politische Agenda. Und genau darin liegt das Problem: Das Bundesverfassungsgericht lebt vom Vertrauen in seine Überparteilichkeit und Neutralität. Wer es parteipolitisch instrumentalisieren will, gefährdet dieses Vertrauen.

Sie führen an, die Kritik an der Kandidatin sei „von dem Ziel geleitet, ihre Wahl zu verhindern“. Ich halte es für demokratisch völlig legitim – ja geboten –, sich als Abgeordneter selbst ein Bild zu machen. Nicht alle, die sich gegen die Wahl Brosius-Gersdorfs aussprechen, tun dies aus parteitaktischen Gründen oder Mediengehorsam. Vielleicht haben viele einfach Gewissen und Verstand sprechen lassen – genau wie es das Grundgesetz verlangt.

Ich frage mich zudem: Zählt auch die Position der katholischen Kirche zur Abtreibungsfrage heute schon als „Diffamierung“?

Bitte bedenken Sie, wie christlich geprägte Wählerinnen und Wähler der Union reagieren werden, wenn eine solche Kandidatin mit den Stimmen der CDU/CSU ins Verfassungsgericht einzieht. Die aktuellen Umfragen sprechen eine klare Sprache – und zeigen, dass der Kurs Ihrer Partei zunehmend Vertrauen verliert.

Wenn Frau Brosius-Gersdorf mit ihrer Kandidatur scheitert, dann nicht wegen „böswilliger Medien“, sondern wegen ihrer eigenen, hochpolitisierten Haltung. Es geht hier nicht um Einzelfragen, sondern um das große Ganze – um das Bild vom Menschen, das unserer Rechtsordnung zugrunde liegt. Und das ist eben nicht beliebig verhandelbar.

Ich bin ein Nachkriegskind. Meine Familie hat unter zwei totalitären Regimen gelitten. Gerade deshalb bin ich hellhörig, wenn Grundrechte zunehmend relativiert werden – etwa durch ständige Grundgesetzänderungen im Sinne aktueller politischer Mehrheiten. Ob beim § 1 GG oder bei der Schuldenbremse: Es geht nicht um technische Anpassungen, sondern um Vertrauen in die Verlässlichkeit unseres Rechtsstaats.

Ich appelliere daher eindringlich an Sie und Ihre Kollegen:
Bleiben Sie standhaft. Lassen Sie sich nicht von Koalitionsdisziplin und parteitaktischem Druck treiben. Machen Sie christlich-demokratische Politik wieder sichtbar – durch Haltung, Rückgrat und Taten.

Ob es Ihnen ernst ist, wird sich an der Entscheidung über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts zeigen.

Mit den besten Grüßen und dem Vertrauen in Ihre Unterscheidungskraft
Dr. Ellen Walther-Klaus

P.S.: Warum stellt eine Partei mit gerade einmal 13 % Wähleranteil gleich zwei Kandidaten für das höchste deutsche Gericht?

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