
Hippieromantik oder eine Selbstverständlichkeit in einer freien Gesellschaft?
Das Spannungsfeld von Drogenkonsum und gesellschaftlicher Ordnung ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst.
Bei Ausgrabungen in Göbekli Tepe in der heutigen Türkei fand man Bauten aus dem 10. Jahrtausend vor Christus. Sie gehören zu den ersten Zeugnissen der Seβhaftwerdung des Menschen. Und was hat man gefunden? Die Überreste einer Brauerei, in der Bier für vermutlich kultische Zwecke gebraut wurde.
Ohnehin sind Rausch und Transzendenz überall in der Welt eng miteinander verwoben. War es in Göbekli Tepe Bier, so waren es in Lateinamerika psilocybinhaltige Pilze und in Indien der Hanf, cannabis indica, genannt.
Stammesälteste und Schamanen versetzten sich durch Drogen in Bewuβtseinszustände, von denen sie annahmen, so in Kontakt mit Göttern oder ihren Ahnen treten zu können. Noch wichtiger waren jedoch rituelle Feste, zu denen die gesamte Stammesgemeinschaft sowie Gäste gemeinsam Drogen konsumierten und feierten.
Was man auch heute noch aus seiner Jugend kennt, nämlich dass ein Bier oder ein Joint es leichter machen kann, miteinander ins Gespräch und sich unter Umständen sogar näher zu kommen, gilt Anthropologen als notwendige Voraussetzung dafür, dass es dem Menschen gelang, sich über die ganze Welt auszubreiten. Bei rauschhaften Festen mischten sich Stammesgemeinschaften und tauschten ihre Gene aus.
“Ich traue niemandem, mit dem ich noch kein Bier getrunken habe.” Geflügelte Worte wie dieses finden sich in vielen Kulturen überall auf der Welt. Insbesondere im geschäftlichen Bereich halten sich solch archaische Traditionen bis heute. Was woke Zeitgenossen als “toxische Männlichkeit” abtun, entspringt in Wahrheit Jahrtausenden gelebter Erfahrung. Schließlich ist der Mensch ein Meister der Täuschung. Doch nach ein paar Bier wird es schwer, die falsche Fassade aufrecht zu erhalten. Der gemeinsame Drogenkonsum ist deshalb weltweit ein Zeichen von Vertrauen. Der Spießbürger mag über solche Sätze die Nase rümpfen, während er sich noch einen trockenen Riesling einschenkt. Tief in seinem Unterbewuβtsein weiß er dennoch, dass dies die Wahrheit ist.
Nichtdestotrotz ist die Prohibition ebenso alt wie der Rausch. Unterstützt der Rausch als Ausnahmefall noch Vertrauen, Handel und die notwendige Durchmischung des Genpools, so führt übermäßiger Drogenkonsum schnell zum Zerfall der Gesellschaft. Dies wussten auch die chinesischen Kaiser. In China war die Nutzung des Schlafmohns bereits seit alters her bekannt. Das aus dem Mohn gewonnene Opium war jedoch selten und teuer. Erst der Handel der britischen East India Company, die Opium aus Indien nach China brachte, führte zu einer schlagartigen Verbreitung der Droge in der chinesischen Bevölkerung mit verheerenden Folgen. China wollte seine Gesellschaft schützen und die massenhafte Einfuhr des Opiums verhindern. Die Briten wiederum dachten nicht daran, den hochlukrativen Handel aufzugeben. Es kam zu den Opiumkriegen zwischen China und Großbritannien im 19. Jahrhundert.
Der natürliche Drang des Menschen, zu Drogen zu greifen, um Probleme zu vergessen, zu meditieren oder einfach um Spaß zu haben, kollidierte also überall und immer mit dem Anspruch des jeweiligen Herrschers, die Ordnung aufrecht und die Gesellschaft intakt zu halten.
Dieses Spannungsverhältnis läβt sich auch sehr gut am Beispiel des Cannabis veranschaulichen. In Deutschland wurde der Freizeitkonsum von Cannabis erstmals mit dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln von 1929 (umgangssprachlich damals „Opiumgesetz“ genannt) verboten. Die Regelungen wurden in den folgenden Jahrzehnten immer strenger. Im Betäubungsmittelgesetz wurde 1971 auch die medizinische Verwendung von Cannabis in Deutschland untersagt.
Ausgehend von den USA kam es jedoch seit den 1980ern zu einer weltweiten Gegenbewegung. Gerade jüngst wurde auch in Deutschland zunächst der medizinische Gebrauch von Cannabis wieder legalisiert (Medizinal-Cannabisgesetz – MedCanG) und dann auch der Freizeitkonsum (Konsumcannabisgesetz – KCanG). Eine von der Öffentlichkeit wenig beachtete für die medizinische Anwendung jedoch sehr bedeutende Änderung brachte hierbei die Streichung von Cannabis aus der Liste der Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz. Seit dem 01.04.2024 können deshalb Ärzte Medizinalcannabis wieder verschreiben, ohne daβ hierfür ein Betäubungsmittelrezept notwendig wäre. Der medizinische Einsatz von Cannabis insbesondere bei einer Reihe chronischer Beschwerden ist seitdem stark angestiegen.
Der Freizeitkonsum von Cannabis ist jedoch – ähnlich wie der Konsum von Alkohol oder auch Nikotin – mit gesundheitlichen Risiken behaftet. Diese umfassen beispielsweise die Beeinträchtigung der Gehirnleistung, erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen, psychische Beeinträchtigungen sowie Suchtprobleme. Darüber hinaus kann erhöhter Cannabiskonsum bei Heranwachsenden bis zum Ausreifen des Gehirns, was grundsätzlich mit spätestens 25 Jahren abgeschlossen ist, negative Auswirkungen auf Lebenserfolg und Lebensqualität haben.
Dies hat neben den offensichtlichen Schäden für den einzelnen auch erhebliche negative Konsequenzen für die Gesellschaft.
Hierbei muβ jedoch zwischen den beiden wichtigsten Inhaltsstoffen der Cannabispflanze unterschieden werden. Dies ist zum einen das Cannabidiol (CBD), dem vor allem positive Eigenschaften wie entkrampfende, entzündungshemmende und angstlösende Effekte zugeschrieben werden. CBD hat keine berauschende Wirkung und wird sowohl in Form von Blüten oder als Öl schon länger in Deutschland legal verkauft. Die berauschende Substanz in Cannabis ist das schlaf- und appetitfördernde Tetrahydrocannabinol (THC). Der Verkauf von Produkten mit einem THC-Gehalt über 0,1 % war in Deutschland lange Zeit verboten. Diese Schwelle wurde nun auf 0,3 % heraufgesetzt.
Die Streichung von Cannabis aus der Liste der Betäubungsmittel und so die Ermöglichung des medizinischen Gebrauches ist weitgehend unumstritten und durchweg positiv zu sehen.
Komplexer ist die Bewertung des Konsumcannabisgesetzes. Vor allem weil sich in diesem Zusammenhang die ganz grundsätzliche Frage stellt, welche Zugriffsrechte dem Staat auf das Privatleben von freien Bürgern zugestanden werden sollen. Setzt man eine libertäre Brille auf, so ist die Antwort einfach. Nach libertärem Verständnis stehen dem Staat keinerlei Rechte zu, das Privatleben der Bürger zu reglementieren. Genauso einfach – wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen – verhält es sich für autoritär gesinnte Geister. Diese gestehen dem Staat nahezu unbeschränkten Zugriff auf das Privatleben der Bürger zu.
Aber was kennzeichnet eine bürgerlich-freiheitliche Drogenpolitik?
Nach meiner Einschätzung bietet zumindest die Entkriminalisierung des privaten Konsums Erwachsener ab dem 25. Lebensjahr in den eigenen vier Wänden sowie der Selbstanbau für den Eigenbedarf keinen Anlaβ zur Kritik.
Anders sehe ich angesichts der unbestrittenen erheblichen Risiken des Cannabis-Konsums auf die Hirnentwicklung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahren jedoch die gesetzliche Freigabe auch des Freizeitkonsums für Heranwachsende ab dem 18. Lebensjahr.
Vor allem jedoch erscheint die Freigabe des Cannabis-Konsums in der Öffentlichkeit mehr als fraglich. In dem Zusammenhang sollte man auch nicht den “Legalize it”-Advokaten und ihren groben Vereinfachungen auf den Leim gehen. Zu gerne wird von diesen Alkohol mit Cannabis verglichen und behauptet, daβ Alkohol weitaus schädlicher sei. Dies stimmt jedoch nur teilweise. Die körperlichen Schäden durch Alkoholkonsum sind unbenommen. Dennoch darf darüber hinaus nicht vergessen werden, daβ die europäische Kultur durch den Alkohol geprägt ist und die Bevölkerung im Umgang mit der Droge geübt. Ein Bierzelt voller bierseliger Menschen ist deshalb zurecht Kulturgut. Mit Cannabis wäre dies wohl eher eine wahrlich müde Veranstaltung. Aber die schläfrig machende Wirkung des Cannabis ist nur ein Argument gegen den Konsum im öffentlichen Raum. Oft wird vergessen, daβ Cannabis im Gegensatz zu Alkohol ein Halluzinogen ist, welches zudem bei jedem Individuum unterschiedlich anschlägt. Dagegen ist die Wirkung des Alkohols – bis hin zu den berechenbaren Abbauraten – sehr gut zu verallgemeinern und vorherzusehen.
Cannabis ist im Gegensatz dazu ein recht komplexes Rauschmittel, welches schon wegen seiner halluzinogenen Wirkung nur in einer sicheren Umgebung konsumiert werden sollte. Andererseits drohen dem Kiffer Psychosen und der Öffentlichkeit die Verunsicherung durch gänzlich derangierte Gestalten auf offener Straße (die bietet der Alkoholkonsum auch in ausreichendem Maasse). Wir begrüssen die Konsumfreigabe von Cannabis, würden aber ein Verbot des öffentlichen Konsums begrüssen. Denn noch mehr wie bei einem guten Rotwein gilt beim Joint, dass dieser in Ruhe zu Hause genossen werden sollte.